Der Shutdown trifft auch Bibliotheken. Zum Glück werden diese dafür online umso aktiver.

Wem das Leben, Arbeiten und Entdecken in der Bibliothek fehlt, dem bleibt derzeit nichts anderes übrig, als beispielsweise online den Geräuschen aus der Bodleian Library zu lauschen: https://www.ox.ac.uk/soundsofthebodleian. Klickt man sich vor dem Hintergrundrauschen leisen Blätterns, Raschelns, Knarzens auch noch durch die Sammlung von Bibliotheksansichten auf Wikimedia Commons verfällt die/der ein/e oder andere sicher in sehnsuchtsvolle Stimmung. Die Bibliothek als Ort – gerade als Ort der Begegnung und Inspiration – wird schmerzlich vermisst.

Unmittelbarer betrifft alle am IOS – Wissenschaftler*innen, Hochschullehrer*innen und wohl am schmerzhaftesten die Studierenden – der erschwerte, meist sogar blockierte Zugang zu Informationen aus Bibliotheken und Archiven. Wenn Quellen und wissenschaftliche Literatur nicht verfügbar sind, der vergleichende, abwägende Diskurs nicht mehr gegeben ist, steht schließlich das, was wir als wissenschaftliche Objektivität und Transparenz verstehen, grundlegend in Frage. Jean-Claude Guédons allgemein gehaltene Feststellung „Whenever access to documents is impeded, the quality of human communication suffers“ ((Guédon, Jean-Claude: Open Access: Toward the Internet of the Mind, in: BOAI 15 (2017), URL: https://www.budapestopenaccessinitiative.org/boai15/Untitleddocument.docx)) gilt insofern besonders auch für die Qualität wissenschaftlicher Kommunikation.

Es wird nun ganz offensichtlich, welcher geradezu existentielle Stellenwert dem Open Access-Paradigma zuwächst: „The best demonstration of the primacy of communication over business plans becomes blindingly clear when an emergency arises.“ ((ibid.)) Und zwar nicht nur in Bezug auf medizinisch-naturwissenschaftliche Studien, deren freie Zugänglichkeit mitunter lebensrettend sein kann, sondern ganz umfassend für ernstzunehmendes wissenschaftliches Arbeiten. Ohne Referenzen, ohne Diskussion und Einordnung von Forschungsergebnissen, ohne Bezüge auf aufbereitetes Wissen erwächst ein Qualitäts- und Legitimitätsproblem.

Nikolaj Berdjaevs berühmte Fußnote in The Divine and the Human, London 1949.
Nikolaj Berdjaevs berühmte Fußnote in The Divine and the Human, London 1949.

Es wird dann schwer, verantwortungsbewusst durch Wissenstransfer zum gesellschaftlichen Leben beizutragen. Ganz zu schweigen von den persönlichen Auswirkungen, wenn sich Lücken in Anträgen, Aufsätzen und Abschlussarbeiten nicht mehr qualifiziert schließen lassen.

https://twitter.com/ankegroener/status/1240568111293706240

Die Bibliotheken wissen darum. Und zahlreiche Einrichtungen bemühen sich, wissenschaftliches Arbeiten trotz aller Einschränkungen zu ermöglichen.
So bieten mittlerweile viele Bibliotheken eine rasche und unbürokratische Registrierung an, um auf die E-Ressourcen und Datenbanken den Zugriff via Remote Access zu ermöglichen.
Auch Verlage reagieren auf die Situation und stellen vorübergehend elektronische Angebote zur Verfügung.

Im Folgenden eine Reihe von Hinweisen, Links und Listen (zu denen gerne auch beigetragen werden kann):

In Erinnerung zu rufen ist auch das bewährte Web Verzeichnis von Clio online: https://www.clio-online.de/webresource/page

Informationen zu freien Kulturangeboten finden sich unter: https://netbib.hypotheses.org/78636010

Zahlreiche Hinweise auf offene Ressourcen bietet immer: https://archivalia.hypotheses.org/

Wenn in den genannten Pools nichts zu finden ist, lässt sich über die twitter-Hashtags #icanhazpdf und #twittothek eine äußerst hilfsbereite Community mit umfangreichen Privatbibliotheken um Unterstützung bitten.

Und last but not least: Es lohnt sich, Bibliotheken oder die Fachreferent*innen direkt anzusprechen, wenn ein Werk unbedingt benötigt wird – es lässt sich vielleicht nicht immer der gewohnte Standard bedienen, eine Lösung dürfte jedoch sicher gefunden werden.


Ergänzung vom 21.04.2020

Darüber hinaus existiert eine vielfältige Open Access-Publikationskultur in und über Ost- und Südosteuropa, durch die sich weite Streifzüge mit teils unerwarteten Ausblicken unternehmen lassen – eine Wohltat bei Ausgangsbeschränkungen.

Im Folgenden eine lose (nicht vollständige) Folge von Links zu wissenschaftlichen E-Journals mit Osteuropabezug aus den historischen bzw. wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen (Quelle u.a.: Directory of Open Access Journals https://doaj.org/).

1. Geschichtswissenschaft (nach Erscheinungsländern)

Deutschland

Estland

Finnland

Frankreich

Griechenland

Kosovo

Kroatien

Litauen

Moldau

Österreich

Polen

Rumänien

Russland

Serbien

Slowenien

Tschechien

Türkei

Ukraine

2. Wirtschaftswissenschaften

Deutschland

Estland

Finnland

Kroatien

Moldau

Polen

Rumänien

Russland

Ungarn


 

Nachtrag: Eine Information des Deutschen Bibliotheksverbandes:
Der amerikanische Bibliotheksverband ALA stellt seine Publikationsplattform Booklist Bibliotheken weltweit kostenlos zur Verfügung. Angesichts der COVID-19-Krise können E-Audios und E-Books, Features und weiteres Material von allen kostenlos genutzt werden. Weitere Informationen unter: http://www.booklistonline.com